Bhandup, Indien - Wo sich Armut und Wohlstand treffen: Ein Einsatzbericht
Unsere Aktivitäten in Indien standen im letzten Jahr auf der Kippe. Die Spenden reichten nicht aus, um weiterzumachen. Als unsere Unterstützerin Salomé Handschin davon erfuhr, bot sie ohne zu zögern an, uns zu helfen. Nicht nur finanziell, sondern auch als ehrenamtliche Projektleiterin für Indien. Um zu bestimmen, wie wir am effektivsten helfen können, reiste sie kurzerhand für vier Wochen nach Indien. Was sie während Ihrer Reise erlebt hat und wie sich die Erfahrungen auf ihre Arbeit als Projektleiterin für Indien auswirkt, erzählt sie nachfolgend in ihrem Reisebericht. Ihr Fazit ist eindeutig: Unsere Arbeit in Mumbai ist dringend nötig und sehr geschätzt.
«Durch Khalil Radi, der auch wie ich bei der ZKB gearbeitet hat, bin ich auf Buy Food with Plastic aufmerksam geworden. Etwa im Mai 2022 bin ich Mitglied geworden. Einige Monate später habe ich dann erfahren, dass die Aktivitäten in Indien möglicherweise vorübergehend eingestellt werden, weil nicht genügend Spenden eingegangen waren. Ich bin bereits zwei Mal nach Indien gereist und kenne somit das Land ein bisschen. Ich hatte auch schon Einblick in die unterprivilegierten Gemeinden dieser Welt und weiss, dass Hilfe benötigt ist. Der Verein hatte bereits einiges in den Aufbau in Indien investiert. Shakti Yadav, der Country Manager, ist mit Herzblut engagiert. Und da ich die Arbeit von Buy Food with Plastic als wichtig erachte, wusste ich sofort: Ich will helfen und dazu beitragen, dass wir weiterhin in Indien tätig sein können.
Der Vorort Bhandup in Mumbai, Indien, gem. Google Maps.
Und so habe ich mich am 11. November 2022 auf die Reise nach Mumbai begeben. Zum einen wollte ich einen Einblick in die unterprivilegierten Gemeinden (ich mag den Ausdruck «Slums» nicht) von Bhandup, wo Buy Food with Plastic tätig ist, erhalten. Zum anderen wollte ich aber auch Kontakt mit lokalen Organisationen aufnehmen, die uns vor Ort unterstützen können. Aber auch von diesen lernen, wie sie ihre Arbeit in den armen Gemeinden organisieren und Projekte umsetzen. Im Vorfeld meiner Reise hatte ich bereits Termine mit der ZKB-Repräsentanz und dem Swiss Business Hub in Mumbai vereinbart, wie auch einen Besuch in Dharavi organisiert. Dort wollte ich zudem die lokalen Organisationen Mother Teresa Foundation, Compound 13 Lab und der Stiftung ACORN India besuchen und so viel wie möglich über die Arbeit einer NGO in den Armenvierteln lernen. Und das habe ich!
Ich habe so viel Spannendes gesehen, Überraschendes erlebt und Neues gelernt. Darüber zu berichten, würde den Rahmen sprengen, darum fasse ich die Ereignisse zusammen. Die wichtigste Erkenntnis meiner Reise ist: Die Bewohner*innen von Bhandup schätzen die Arbeit der Hilfsorganisationen vor Ort. Die Schulen für Kinder, Bildungsprogramme für Erwachsene, medizinische Einrichtungen, Ernährungshilfen und viel mehr tragen wesentlich zur Verbesserung der Lebensqualität bei. Mehr noch: Sie bieten echte Perspektiven für eine bessere Zukunft. Unser Engagement, und das aller anderen Organisationen vor Ort, ist nicht nur wichtig, sondern auch richtig!
Shakti Yadav, Country Manager Indien (links) und Salomé Handschin, ehrenamtliche Projektleiterin Operations Indien (rechts) in Mumbai, Indien.
Bhandup – Eine facettenreiche Gemeinde
Bhandup ist eines der ältesten Vororte im Norden Mumbais mit ca. 700'000 Bewohner:innen (Stand 2001). Wie so viele Gemeinden in Indien, ist auch Bhandup in gehobenere Siedlungen (Bhandup West) und Armenviertel unterteilt. Khindipada gehört zu den besser gestellten Gegenden und ist gut organisiert. Ein markantes Hochhaus prägt das Bild der Siedlung. Die meisten Familien wohnen jedoch in kleinen Häusern oder einfachen Hütten mit nur einem Raum, in dem geschlafen, gekocht und gelebt wird. Diese Hütten sind einfach eingerichtet. Dort, wo es die Licht- und Bodenverhältnisse zulassen, haben einige Familien einen kleinen Garten, wo sie Gemüse und Obst anbauen.
Mam, die Verantwortliche der Gemeinschaft, führt mich rum. In der Schule erwartet mich eine kleine Überraschung: «Die Kinder haben bereits Englisch Grundkenntnisse, bevor sie eingeschult werden», erklärt sie. «Dies ist den Freiwilligen zu verdanken, die die Kinder in Englisch unterrichten», sagt sie mit etwas Stolz. Die Eltern verdingen sich entweder als Tagelöhner, als Rikscha-Fahrer, Haushaltshilfen oder haben eine feste Anstellung in kleinen Betrieben. Dass die Kinder tagsüber die kostenlose Schule besuchen können, ist für die Eltern eine grosse Erleichterung. Tagsüber sind die Kinder versorgt anstatt illegale Kinderarbeit zu verrichten. Und durch die Bildung erhalten sie bessere Zukunftsaussichten. Nach der Schule, wenn sie noch nicht nach Hause gehen können, können sie im Klassenraum Hausaufgaben machen oder für Prüfungen lernen. Die Nachbarn helfen sich gegenseitig aus. Sei es mit der Betreuung der Kinder, Kranken oder älteren Menschen. Was sehr offensichtlich ist, ist, dass Lebensmittel benötigt werden. Vor allem für ältere Menschen, die sich schwer selbst versorgen können.
Im Kontrast zu Khindipada befindet sich im Osten Bhandups das Viertel Hanuman Naga. Eine grosse Mauer trennt dieses Armenviertel vom gehobeneren Umfeld. Wohl um zu verbergen, dass Hanuman Naga am Fusse eines ehemaligen Müllbergs liegt, der bis heute nur teilweise verrottet ist und bestialisch stinkt. Die Trinkwasserstelle liegt nur ca. 2 km davon entfernt. Die Menschen leben in Behausungen, die man kaum als Hütten bezeichnen kann. Oder in Zelten aus Plastikplanen, wo sie auf dem nackten Boden schlafen. Der Anblick dieser Siedlung und die unwürdigen Lebensumstände erschüttern mich!
Zusammen mit Shakti besuche ich weitere Siedlungen des Stadtteils Bhandup. Wir besichtigen Schulen, ich spreche mit den Bewohner*innen über ihr Leben und ihre Bedürfnisse, tausche mich mit Hilfsorganisationen vor Ort aus. Was besonders eindrücklich ist: Bildung ist eines der wichtigsten Güter in ganz Bhandup! Mädchen und Jungen teilen mir ihre beruflichen Träume und Ziele mit: sie wollen Hotelmanagerin werden, Arzt, Chemikerin oder Ingenieure.
In den Armenvierteln von Bhandup sind die sanitären Einrichtungen nur spärlich vorhanden. Die wenigen Toiletten sind öffentlich, es gibt keine Abwasserkanäle. Sauberes Trinkwasser ist auch nur wenig vorhanden. Wasser holen die meisten Bewohner:innen an bestimmten Stellen, die teilweise Kilometer entfernt sind. Wenn eine Siedlung das Glück hat, einen Elektriker unter den Einwohnern zu haben, dann ist auch Strom vorhanden. Der Müll türmt sich überall auf: bei den Wasserstellen, auf den Wegen und Strassen, in den Gärten und gar im angrenzenden Dschungel. Wie mir eine Bewohnerin sagt, ist der Müll insbesondere während der Monsunzeit ein grosses Problem: «Der Regen ist heftig und führt zu Überschwemmungen. Der Müll fliesst dann mit dem Wasser mit, manchmal sogar bis in die Häuser. Oder verstopft die wenigen Abflussmöglichkeiten, so dass die Fluten noch mehr steigen als sonst», klagt sie. Zustände, die wir uns in der Schweiz nicht vorstellen können.
Eine Tour durch Dharavi, die grösste unterprivilegierte Gemeinde in Asien
In Dharavi möchte ich einige etablierte Stiftungen und Hilfsorganisationen treffen, um von ihnen zu lernen. Was müssen wir bei der Umsetzung von Hilfsprojekten achten? Mit wem könnten wir zusammenarbeiten? Wie können wir einen möglichst grossen Impact bewirken? Wie gehen wir am besten mit den lokalen Behörden um? Meine Frageliste ist lang.
Zuerst machen wir einen Rundgang durch Dharavi. Mit ca. 1. Mio. Einwohnern:innen ist es die grösste unterprivilegierte Gemeinde in Asien. Dharavi verfügt über die Infrastruktur einer Kleinstadt: Gewerberäume, Töpfereien, Lebensmittelmärkte, Fitnessstudios, Friseure, Bäckereien usw. sind vorhanden. Dharavi ist auch bekannt für das Re- und Upcycling von Abfallmaterial. In kleinen Produktionsstätten werden Kleidung, Stoffe, Plastik oder Aluminium verarbeitet. In diesen kleinen Betrieben erhielten wir spannende Einblicke in den Recyclingprozess von Dharavi. Wirklich alles, was sich irgendwie verarbeiten lässt, wird genutzt. Sei es als Produktionsmaterial, das an entsprechende Betriebe weiter verkauft wird, oder als neue Produkte, die sich die Einwohner:innen leisten können. Die Kreativität in Sachen Wiederverwertung fasziniert Shakti so sehr, dass er in den kommenden Monaten einige Tage hier in Dharavi verbringen will, um mehr von den hiesigen Upcyclern:innen zu lernen.
Sehr eindrücklich ist der Besuch des Dharavi Compound 13 Lab. Die Einrichtung wurde von Vinod Shetty gegründet. Er ist Anwalt, setzt sich für die Ärmsten und die Gewerkschaften in Mumbai ein. Er ist auch Gründer der ACORN Foundation India, die Teil von ACORN International ist. Vinod Shetty ist in Mumbai sehr bekannt und bestens vernetzt. Für die Dharavi-Gemeinschaft initiiert er Projekte, die soziale Veränderungen herbeiführen sollen. Er verfügt auch über wertvolles Wissen und reichlich Erfahrung im Bereich der Abfallverwertung. Wir sind froh und dankbar, dass er dieses Wissen mit uns teilen will, und freuen uns auf künftige Treffen, um noch mehr von ihm zu lernen.
Unterstützung von Lokalbehörden
Auch Treffen mit Landesvertretungen, Lokalbehörden, Anwälten*innen oder Handelskammern stehen auf dem Programm. Was nach einer etwas langweiligen Aufgabe klingt, war durchaus spannend und äusserst erfreulich!
Besonders erfolgreich war das Treffen mit Vijay Iyer, Handelskommissar am Swiss Business Hub in Mumbai. Shakti pflegt seit einiger Zeit Kontakt mit ihm. So begrüsst uns Vijay herzlich, fragt sofort nach Neuigkeiten über Buy Food with Plastic. Wir berichten von den kleinen Fortschritten der letzten Monate und erzählen ihm von unseren Plänen für Indien. Als er von der geplanten Manufaktur erfährt, teilt er uns sofort mit, wo wir passende Räumlichkeiten finden können und wer uns bei der Einrichtung behilflich sein könnte. Er lädt uns – und insbesondere Shakti – in die SICC ein, der Schweizerisch-Indischen Handelskammer (SICC) in Mumbai. Durch die Teilnahme an Veranstaltungen erhält Shakti die Gelegenheit, wertvolle Kontakte zu potenziellen Spendern oder Partnern zu knüpfen und unseren Verein in Mumbai (und darüber hinaus) zu etablieren. Und als Sahnehäubchen vereinbart Vijay einen Besuch der Schweizer Delegation an unserem Standort in Bhandup, wo wir unser Projekt vor Ort vorstellen können. Ein rundum erfolgreiches Treffen! Was könnten wir uns mehr wünschen?
v.l.n.r.: Salomé Handschin und Shakti Yadav, Buy Food with Plastic, mit Vijay Iyer im Swiss Business Hub in Mumbai, Indien.
Das Treffen mit der ZKB-Repräsentanz in Mumbai beschert uns ähnliche Glücksgefühle. Wir treffen den Repräsentanten Ashish Gupta und die Büroleiterin Geeticka Pant, die uns ebenfalls herzlich willkommen heissen. Wir stellen unseren Verein vor, erzählen von unseren Aktivitäten in Bhandup und die geplanten Projekte. Beide zeigen grosses Interesse, geben uns wichtige Anregungen bezüglich Umsetzung und Vorgehen. Und, besonders wichtig, bieten uns ihre Unterstützung an.
Auf das Treffen mit der Happie Foundation habe ich mich besonders gefreut. Gemeinsam mit dieser Stiftung organisieren wir unsere Community Events und führen sie gemeinsam durch. Wir kaufen zusammen ein, teilen die benötigte Infrastruktur und somit auch die Kosten. Ohne diese Zusammenarbeit könnten wir die Community Events in Bhandup kaum durchführen.
Community Event von Buy Food with Plastic in Kihindipada, Bhandup, Mumbai, in Zusammenarbei mit der Happy Foundation und unserem Recycling-Partner Recircle (Februar 2022).
Und dann ist noch der Besuch bei unserem Partner ReCircle, einem Unternehmen für Ressourcenrückgewinnung. Sie unterstützen uns dabei zu verhindern, dass der Plastikmüll auf den Mülldeponien landet oder in die Flüsse, Seen und Meere gelangt. Stattdessen führen wir den Plastikmüll in Zusammenarbeit durch Recycling in die Wirtschaft zurück. Unser Ziel ist es, mittelfristig diesen Kreislauf mit einer eigenen Manufaktur selbständig sicherzustellen. Dies hat viele Vorteile: So brauchen wir den Plastikmüll nicht über grössere Distanzen zu transportieren (z.B. zum Recycling-Anbieter), wir stellen sicher, dass der gesammelte Plastikmüll wiederverwertet wird und nicht zuletzt bieten wir vor Ort Arbeitsplätze zu fairen und sicheren Bedingungen an.
Unser Impact ist spürbar
Nach meiner aufregenden Reise in Idien und den unglaublichen Erfahrungen in Mumbai möchte ich auf Folgendes hinweisen:
Es gibt zahllose indische NGOs und NPOs, die grossartige Arbeit für die lokale Bevölkerung in allen Bereichen des Lebens leisten. Bei einer Einwohnerzahl von ca. 1.4 Milliarden können diese Organisationen nicht alle Menschen mit ihrer Hilfe erreichen. Deshalb ist es auch wichtig, dass ausländische Institutionen - wie Buy Food with Plastic - sie bei dieser gigantischen Aufgabe unterstützen. Es war sehr überwältigend zu sehen, wie viele Menschen - auch junge - in ihrer Freizeit ehrenamtliche Arbeit in ihren jeweiligen Gemeinden leisten. Mich hat es zutiefst berührt zu sehen, wie selbstverständlich Menschen innerhalb der Familie und der Nachbarschaft Hilfe leisten, den Alltag bedürftiger Mitmenschen erleichtern und so Freude schenken. Dieses Gefühl des Miteinanders hat mich nachhaltig beeindruckt!
Diese Menschen sind für mich zu Vorbildern geworden. All diesen engagierten Menschen gilt mein tiefster Respekt und Dank!
Namasté!»
Awareness Event von Buy Food with Plastic in Bhandup, Mumbai, Indien. (Februar 2023).
Willst du mehr über die Indienreise erfahren? Hast du Fragen zu unseren Aktivitäten vor Ort? Möchtest du unser Engagement in Indien unterstützen, weisst aber nicht genau, wie? Salomé steht dir gerne mit Antworten und Infos zur Verfügung!
|
Andere Artikel:
Quick Links
Datenschutzerklärung
Geschäftsbedingungen
Shop
Impressum
FAQ
Kontaktiere uns
contact@buyfoodwithplastic.org
+41 44 203 54 35
IBAN
CH69 0900 0000 1606 0054 3
Buy Food with Plastic
Feldstrasse 42
8004 Zürich
Schreibe einen Kommentar: